Donnerstag, August 20, 2009

Bin fertig

Ich habe die Compostella. Ich bin jetzt katholisch-offiziell Pilger. Aber der Reihe nach.

Mein absoluter Tiefpunkt war in Ponferrada. Die Blasen an meinen Fuessen feierten mal wieder Schmerzorgien, ich war deprimiert und dachte an aufgeben. Erstmal ging ich zum naechsten Busbahnhof und fuhr 30km in den naechsten groesseren Ort an der Strecke, Villafranca del Bierzo. Dort verhandelte ich mit Haenden, Mimik und vor allen mit meinen Fuessen mit einem alten Schuhverkaeuferpaearchen in einem kleinen Laden. Schuhe Groesse 46 sind in Spanien eigentlich nicht-existent, schon gar nicht auf dem Land in winzigen Schuhlaeden. Das war aber nicht irgendein Ort. Das Staedtchen lag am Camino de Santiago. Jeder halbwegs marktwirtschaftlich denkende Schuhverkaeufer wird irgendwann merken, dass mit diesen grossen Nordeuropaeern, die humpeln in den Laden kommen und wild herum gestikulieren ein vortreffliches Geschaeft zu machen ist. Also bekam ich ein paar Sandalen mit guter Sohle.

Es lief sich viel besser. Am naechsten Tag sollte ich mein laengstes Tagespensum absolvieren, knapp 37km, allerdings unfreiwillig. Der Weg wurde bergiger. Es ging den O Cebreiro hoch. Eine wunderschoene Strecke. Eigentlich wollte ich vor dem Gipfel in La Faba uebernachten, ein Italiener mit Rastas ueberredete mich aber heut weiter zum Gipfel zu gehen. Oben gibt es ein Herberge. Die war aber voll. Alle anderen auch. Leicht hysterische Pilger wuselten oben auf dem O Cebreiro herum. Keiner wollte eine kalte Bergnacht draussen verbringen. Ich lief weiter. Die naechte Herberge wurde gerade renoviert. Schliesslich kam ich 21.30 auf dem O Peio an und bekam vom Herbergsleiter ein Zimmer in seiner Wohnung zugewiesen, das ansonsten nicht vermietet wird. Ich machte wohl einen desolaten Eindruck. Duschen. Essen. Schlafen.

Aufstehen 6 Uhr. Was kleines Essen, Kaffee. Fuessen verpflastern und bandagieren. Loslaufen. Unterwegs Pausen, Kaffee, was Essen. Nachmittags Herberge suchen. Jeder Pilger hat Tips bei Blasen parat, aufstechen, wahlweise Einlochtechnik bzw. Zweilochtechnik, abreissen, Salzwasserbaeder, mit Faeden durchziehen und eventuell den Faden mit Desinfektionsmittel traenken, Gelpflaster, auf gar keinen Fall Gelpflaster, Vaseline gegen Reibung. Die Drogerien und Apotheken am Weg machen ein glaenzendes Geschaeft.

Der Camino wurde immer voller. Viele steigen erst kurz vor Sarria ein und laufen die letzten 100km mit. Das reicht um die Compostella zu bekommen. Wie die Lemminge tapsen sie Santiago entgegen. Die Herbergen wurden immer schneller voll. Bei den billigen staatlichen/kirchlichen standen die Leute ab 12 Uhr Schlange. Auch die privaten wurden voll. Eine Nacht verbrachte ich in der Gesellschaft zweier deutscher Esotherik-Maedels draussen. Nachmittags wurde es jetzt unertraeglich heiss. Viele standen noch frueher auf, um in den kuehlen Vormittagsstunden moeglichst weit zu kommen. Ab 5 Uhr war Betrieb in den Herbergen, draussen noch Nacht. Die Pilger liefen mit Taschenlampen, wie eine leuchtende Perlenkette, durch Waelder und Felder.

Tricastela, Samos, Sarria, Portomarin, Palas de Rei, Melide, Arzua und Pedrouzo. Endlich nach 300 km zu Fuss (und 30 km mit dem Bus) die Tuerme der Kathedrale von Santiago de Compostella, auf den Stufen sitzen und das wundervolle Gefuehl geniessen, es geschafft zu haben, einfach nur sitzen, eine rauchen. Im Pilgerbuero bekam ich, nach gestrenger Nachfrage, ob ich wirklich zu Fuss gelaufen waere, die Compostella. Mit meiner Credential musste ich meinen Wanderweg nachweisen. Jede Herberge und Kirche, aber auch viele Cafes u.a. druecken ihren Stempel hinein. Auch gab es einen Flyer ueber den richtigen Ritus eines Pilgers in der Kathedrale: durch das "Gate of Glory", die Statue von St. Jakob im Altar umarmen, das Grab von St. Jakob unter dem Altar besuchen und vielleicht ein persoenliches Gebet sprechen. Wenn du auf der Pilgerreise beim Reflektieren bemerkt haben solltest, dass dich noch etwas von der Herrlichkeit Gottes trennt, waere es eine gute Gelegenheit zur Beichte zu gehen (auch in Englisch moeglich). Schlussendlich die Messe, jeden Tag um 12 Uhr. Uebervoll, Sicherheitsdienst, Lautsprecherdurchsagen leise zu sein, Blitzlicht. Pilger mit Compostelle duerfen auf den Baenken direkt vor dem Altar sitzen. Ich aber nicht. Nonne mit himmlicher Stimme versuchte uns zum mitsingen zu animieren. Rituale. Bekreuzigen. Blut und Leib Christi. Am Ende wurde ein 50kg schweres Weihrauchfass, die Botafumeiro, durch das Querschiff geschwenkt. Ich hatte Glueck, dass tun die nicht jeden Tag.

Jetzt sitze ich in meinem Hostel in Madrid, chaotisch, teuer. Es wird wieder heiss werden. Rumlaufen, eins der Museen mit Klimaanlage und dann Morgen zurueck nach Berlin.